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Vorlage an das Bundesverfassungsgericht: BFH hält Aussetzungszinsen von monatlich 0,5 Prozent für verfassungswidrig
Der VIII. Senat des BFH hält den gesetzlichen Zinssatz von 6 % p.a. für sog. Aussetzungszinsen für verfassungswidrig und hat daher mit Beschluss vom 08.05.2024 (VIII R 9/23) das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) angerufen.
Der Hintergrund:
Im Steuerrecht haben Einspruch und Klage grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. D.h. die Erhebung einer Abgabe wird nicht aufgehalten, und die festgesetzte Steuer muss vom Steuerpflichtigen zunächst gezahlt werden. Auf Antrag kann aber die aufschiebende Wirkung von Einspruch und Klage in einem summarischen Verfahren bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids von Finanzamt oder Finanzgericht gesondert durch die Aussetzung der Vollziehung (AdV) angeordnet werden.
Einerseits bedeutet das für den Steuerpflichtigen, dass er die Steuer zunächst nicht zahlen muss. Allerdings droht ihm andererseits eine Belastung mit Zinsen, wenn sein Rechtsmittel endgültig ohne Erfolg bleibt und er die Steuer „nachträglich“ zahlen muss. Es sind dann Zinsen für die Dauer der AdV und in Höhe des ausgesetzten Steuerbetrags in Höhe von 0,5 Prozent pro Monat, also 6 % pro Jahr zu entrichten.
Der Streitfall:
Das BVerfG hatte mit Beschluss vom 08.07.2021 die Vollverzinsung in dieser Höhe (§ 233a i. V. m. § 238 Abs. 1 S. 1 AO) ab dem 01.01.2014 für unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG erklärt. Dies wurde aber nicht auf die Aussetzungszinsen und andere Teilverzinsungstatbestände erstreckt.
Im Streitfall hatte der Kläger seinen Einkommensteuerbescheid 2012 angefochten. Das Finanzamt setzte dessen Vollziehung aus. Die Klage blieb erfolglos. Es wurden Aussetzungszinsen von 0,5 Prozent für 78 Monate festgesetzt, u.a. für den Zeitraum vom 01.01.2019 bis 15.04.2021. Der Kläger hatte sich gegen die Zinsfestsetzung gewandt.
Die Einschätzung:
Der BFH ist der Auffassung, dass ein Zinssatz für Zinsen bei AdV in Höhe von 0,5 Prozent pro Monat, also 6 % p. a. gem. § 237 i. V. m. § 238 Abs. 1 S. 1 AO im Zeitraum vom 01.01.2019 bis zum 15.04.2021 mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist. Jedenfalls während einer anhaltenden strukturellen Niedrigzinsphase ist der gesetzliche Zinssatz der Höhe nach evident nicht (mehr) notwendig, um den durch eine spätere Zahlung typischerweise erzielbaren Liquiditätsvorteil abzuschöpfen.
Außerdem werden Steuerpflichtige, die Zinsen schulden, weil sie die Steuer nach AdV nicht bezahlt haben, und Steuerpflichtige, die Nachzahlungszinsen entrichten müssen, weil ihre Steuerfestsetzung zu einem Unterschiedsbetrag geführt hat und sie die materiell-rechtlich von Anfang an geschuldete Steuer deshalb erst später zahlen müssen, ungleich behandelt. Denn seit dem 01.01.2019 werden Nachzahlungszinsen nur mit einem Zinssatz von 0,15 Prozent für jeden Monat, also 1,8 % p. a. berechnet. Auch diese Zinssatzspreizung ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.
(Stand: 17.09.2024)
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